Potosi -
Anreise
Nach entspannten Tagen in Sucre führte uns unsere Reise weiter nach Potosi. Die beiden Städte trennen nur circa 3 Stunden Busfahrt. Ans Busterminal gelangten wir mit einem Taxi. Die Busse nach Potosi fahren immer zur vollen Stunden ab. Unser Busfahrer ließ sich etwas länger Zeit und wir verließen das Terminal mit 20 Minuten Verspätung. Wir erreichten Potosi mittags und liefen vom Terminal in die Innenstadt auf der Suche nach einem Hostel.
Die Stadt Potosi
Potosi entstand aufgrund des silber- und mineralhaltigen Berges Cerro Rico bei der Stadt. Der Bergbau machte Potosi einst zur reichsten Stadt Boliviens. Von diesem Reichtum zeugen heute noch einige schöne Gebäude und prachtvolle Kirche, auch der Hauptplatz ist sehr ansehnlich. Wir besichtigten eine der Kirchen und erklommen den Kirchturm, von dem wir einen tollen Ausblick hatten. Neben den Silberminen gibt es in der Stadt ein bekanntes Münzenmueseum, welches in unserem Reiseführer hoch gelobt wurde. Wir entschieden uns aber gegen einen Besuch.
Potosi und der Cerro Rico
Die Geschichte der Stadt ist eng mit der des Berges verbunden. Schon zur Zeiten der Inkas wurde Silber im Cerro Rico abgebaut. Der Bergbau wurde durch die Kolonalisierung der Spanier intensiviert. Das Silber aus dem Cerro Rico war die Hauptquelle für die Münzprägung der Spanier. Es wurden solche Mengen aus dem Berg geholt, dass sich der weltweite Silberpreis enorm verringerte. In die Geschichte ging es als die Silber-Inflation des 16. Jahrhunderts ein. Der Silberabbau und der damit verbundene Reichtum lockte immer mehr Menschen an, sodass Potosi mit 150.000 Einwohnern im Jahre 1611 zu eine der größten Städte weltweit anwuchs.
Der Cerro Rico hat in Quecha, der Sprache der Einheimischen, einen weiteren Namen erhalten: der Berg der Menschen isst. Vorallem während der Kolonialisierung kamen unzählige Menschen in der Miene ums Leben. Die Spanier zwangen die Einheimischen trotz der dünnen Luft auf 4.000 Metern zu Höchstarbeit. Es gibt keine offiziellen Zahlen wie viel Silber die Spanier aus dem Berg schlagen ließen und wie viele Menschen darin ihr Leben ließen. Doch beides müssen enorm hohe Werte sein. Eduardo Galeano’s schreibt in seinem Buch „Open Veins of Latin America“, dass man mit dem Silber, dass durch die Zwangsarbeit während der spanischen Kolonialisierung abgebaut wurde, eine Brücke von Potosi bis nach Madrid ganz aus Silber hätte bauen können. Und eine Brücke zurück mit den Knochen der Einheimischen, die in den Mienen ihr Leben ließen. Eduardo Galeano schätzt die Anzahl der Toten auf 8 Millionen Menschen. Von Experten wird diese Zahl als zu hoch eingeschätzt, es sollen aber mehrere Millionen Einheimsche durch extremen Bedingungen der Zwangsarbeit ihr Leben in den Mienen verloren haben. Zu was Menschen in der Geschichte fähig waren erschreckt uns immer wieder. Vor diesem Hintergrund finden wir es auch lächerlich, dass der spanische Staat immer noch Besitzansprüche auf Gold und Silber stellt, die im Meer in versunkenen Schiffen der spanischen Krone gefunden werden.
Auswahl des Touranbieters
Wie es der Zufall wollte brachte uns unsere Reise an einem Samstag Mittag nach Potosi, sodass wir die Tour an einem Sonntag unternehmen wollten. Die Minenarbeiter arbeiten zwar selbständig, dennoch ist Sonntag fast kein Betrieb in den Silberminen. Zu unserem Pech kam noch hinzu, dass dieser Samstag auch der Gedenktag zur Niederlage im Pazifikkrieg zwischen Bolivien und Chile war und die meisten Minenarbeiter das ganze Wochenende frei nahmen. Aus diesem Grund trafen wir keine Arbeiter in der Mine, womit wir aber auch rechneten. Aufgrund eines gebuchten Fluges mussten wir uns ein wenig an unseren Zeitplan halten und konnten keinen Tag warten. Dafür erlebten wir mehrere Paraden durch Potosi. Bolivianer lieben es Paraden zu veranstalten und für fast jedes Fest gibt es eine. So sahen wir eine Parade aufgrund des Gedenktages für die Niederlage im Pazifikkrieg und am nächsten Tag gab es eine große Parade zu Ehren des Heiligen Josefs.
Touren durch die Silberminen werden von vielen Anbietern in der Stadt angeboten. Dabei gibt es Touristen-Touren, die sich auf stillgelegte Gänge, in denen man sich kaum bücken muss, konzentrieren und solchen die in die unbequem engen aktiven Minen gehen. Wir entschieden uns natürlich für zweiteres und buchten die Tour bei einem Unternehmen, welches aus ehemaligen Minenarbeitern besteht. Dies ist gut für die Sicherheit, da man davon ausgehen kann, dass der Guide sich wirklich gut auskennt, und es ist natürlich viel interessanter.
Tour durch die Silbermine
Wir wurden vom Büro des Unternehmens abgeholt und zu deren Lagerhalle gefahren. Dort erhielten wir Gummistiefel, Hosen, Jacken und einen Helm mit Lampe. Die Silberminen sind sehr staubig, weswegen die Überziehklamotten sehr praktisch waren. Danach ging es auf den Markt der Minenarbeiter.
Wie bereits erwähnt arbeiten alle Bergarbeiter selbständig. Dies hat den Vorteil, dass ein potenzieller Arbeitgeber kein Geld für Krankheit oder Urlaub zahlen oder die Arbeiter mit Ausrüstung ausstatten muss. Stattdessen zahlen die Minenarbeiter einen festen Prozentsatz Gebühren auf ihren Ertrag zum Einen an den Staat, der Eigentümer des Berges ist, und zum Anderen an den Betreiber der Mine. Am Berg gibt es auf 4 Ebenen jeweils einen Eingang, welche von verschiedenen Unternehmen errichtet und betrieben werden. All diese Eingänge führen zu unzähligen Seitengängen. Auf den Hauptgängen gibt es Schienen und Wagen um Lasten bis zu 2t zu transportieren. Auf den Seitengängen muss alles mit reiner Körperkraft getragen werden.
Am Markt der Minenarbeiter statten sich die Arbeiter mit allem nötigen für ihr Handwerk aus. Es gibt Werkzeug, Sicherheitsequipment, 96% Alkohol, Kokablätter, Dynamit und vieles mehr. Potosi ist der einzige Ort in Bolivien an dem man legal Dynamit in zahlreichen Läden kaufen kann. Es ist Tradition den Arbeitern Geschenke als Besucher Geschenke mit in die Miene zu nehmen um sie zu unterstützen. So kauften wir eine Stange Dynamit mit Katalysator und Zündschnur sowie eine Flasche 96% Alkohol. Die Minenarbeiter benötigen den Dynamit für ihre tägliche Arbeit. Wer an eine Mine wie in Deutschland denkt, wo mit modernen Gerätschaften gearbeitet wird, der liegt falsch. Die Arbeitsbedingungen haben sich hier in den letzten Jahrhunderten nicht geändert. Die Minenarbeiter schlagen mit Hammer und Meisel Löcher in den Fels, in welche sie den Dynamit platzieren. Mit einer Sprengung werden circa 50-60cm Gestein freigesprengt. Dann beginnt die Arbeit wieder von vorne und die Bergmänner schlagen erneut aufwendig ein Loch in die Wand. Bei dieser Arbeit folgen die Minenarbeiter den Silberadern im Berg. Die dadurch entstehenden Schächte können auch weit in die Höhe oder in die Tiefe gehen. Nachdem das mineralhaltige Gestein aus dem Feld gelöst ist, wird es in Säcken mit circa 35kg bis zu den Wagen in den Hauptgängen geschleppt. Insgesamt ein sehr harter Job.
Aufgrund des Staubes ist es kaum möglich Essen mit in die Mine zu nehmen. Daher essen die Arbeiter während der Schufterei Kokablätter. Diese sind ein guter Energielieferant und beugen Müdigkeit vor. Die Kokablätter zerkauen sie mit einem getrockeneten Gemisch aus Kohlenhydraten wie Kartoffeln und Bananen und lassen dies für 3-4 Stunden im Mund. Der 96% Alkohol wird genutzt um dem Gott der Mine, dem Gott Tio, etwas zu opfern. Für eine sichere Arbeit und gute Mineralien schütten die Arbeiter etwas Alkohol auf den Boden und trinken danach ebenfalls von dem harten Stoff. Wir haben ihn auch probiert, es hat ganz schön gebrannt. Statuen für den Gott Tio sind an mehreren Stellen in der Mine aufgestellt. Alle Mienenarbeiter sind zwar selbständig, schließen sich aber in der Regel zu kleinen Arbeitsgruppen zusammen. An diesen Orten wird besprochen wie viele Tage und pro Tag wie viele Stunden die Gruppe arbeiten soll. Eine Gruppenentscheidung lässt dabei kein Platz für Ausnahmen für den Einzelnen. Normale Schichten dauern zwischen 5 und 12 Stunden, teilweise aber sogar bis 20 Stunden. Die Gruppen bitten vor Arbeitsbeginn an der Statue des Gottes Tio um viel Glück und Erfolg.
Was an der Statue gleich auffällt ist, dass er einen sehr großen Penis hat. Die bunte Dekoration wurde nur für Fasching angebracht und befindet sich normalerweise nicht dort. Die Minenarbeiter haben ein sehr rückständigess Frauenbild – Frauen sind weniger wert. Sie sind vor allem wichtig für Sex, was hier anscheinend ein sehr großes Thema ist. Es ist auch völlig normal, dass ein Minenarbeiter mehrere Freundinnen hat beziehungsweise leisten kann. (Nicht mehrere Frauen, denn sie sind ja auch Katholiken…) Andersherum ist es aber natürlich undenkbar. Frauen dürfen außerdem nicht in der Mine arbeiten, da dies Unglück bringt. Es ist schon eine sehr verdrehte Welt. In den Minen gibt es einen eigenen Gott, der wiederum der Teufel ist, aber Sonntags geht man trotzdem in die Kirche.
Über das tägliche Handwerk der Arbeiter erzählte uns unser Guide während der Tour. Er hatte selber 3 Jahre in der Mine gearbeitet, sodass wir alles aus erster Hand erfuhren. Wir besuchten auch die Gänge an denen er gearbeitet hatte. Durch viel Glück hatte er die Möglichkeit im Tourismus zu arbeiten und konnte so die Schufterei in der Mine hinter sich lassen. Er stellt aber eine absolute Ausnahme dar. Wenn dein Vater in der Mine arbeitet ist es Tradition ihm zu Folgen. Ein ungeschriebenes Gesetzt besagt, dass im Falle des Todes eines Minenarbeiters, er durch einen seiner Söhne ersetzt wird, sodass die Arbeitsgruppe vollzählig weiter arbeiten kann.
Obwohl wir die Mine an einem Sonntag besuchten und daher keine Sprengungen durchgeführt wurden, war es sehr staubig. Immer wieder stieg uns ein starker Sulfatgeruch in die Nase, denn die Mine wird nicht belüftet. Es gibt ein Belüftungssystem, welches aber nur in dem Notfall eines Gasaustrittes angemacht wird. Den Arbeitern ist bewusst, dass die Arbeit in den Minen langfristig gesundheitsschädlich ist. Heutzutage sterben nur noch wenige Menschen in den Minen während der Arbeit, meist durch den Zusammenbruch von Gängen. Alle anderen sterben aber früher oder später an Lungenkrebs. Das tägliche Einatmen von Feinstaub verursacht diesen. Männer die lange in den Minen gearbeitet haben, werden nur circa 45-55 Jahre alt. Im Jahr 2018 sollen angeblich „nur“ 30 Menschen in den Mienen gestorben sein. Es gibt aber keine offiziellen oder bestätigte Zahlen. Die Lebenserwartung und auch die im Vergleich zur Vergangenheit „niedrigen“ Todeszahlen in den Minen von Potosi zeigen in was für einer Hölle die Menschen hier immer noch arbeiten. Am Ende der Tour wurde uns wiedereinmal bewusst, was für ein Glück wir haben, dass wir in Deutschland geboren wurden.
Weiterreise
Von Potosi führte uns unsere Reise weiter in den Süden Boliviens nach Tupiza. Wir fuhren zunächst mit einem Taxi an das alte Busterminal von Potosi, wo wir mit einem Rapido, einem kleinen Sammeltaxi, nach Tupiza fuhren. Der Vorteil der Rapidos ist, dass sie fast nur halb so lang für die Strecke brauchen wie die Fernbusse. Dafür muss man warten, bis das Auto voll ist und hat keine fixe Abfahrtszeit.